Erweckung in Rumänien

oder

Wie ein Volk seine Rechte einfordert

von Katharine Siegling

Es ist Samstagabend, 9. Juni 2018. Die Sonne hat den ganzen Tag heiss auf der Piața Victoriei in Bukarest gebrannt. Hunderttausende von Menschen strömen auf den historischen Siegesplatz – und es werden immer mehr. Sie kommen aus allen Teilen Rumäniens zusammen mit einem Ziel: ihre Rechte und ihre Freiheit einzufordern. „Rumänien ist aus seinem Todesschlaf erwacht”, ruft der Präsident des rumänischen Parlaments, Liviu Dragnea, vor dem Victoria-Palast in Bukarest: Über 400 000 Rumänen versammeln sich an diesem Abend, um gegen den Parallelstaat, Überwachung und Missbrauch in der Justiz zu demonstrieren – „Vrem prosperitate, NU Securitate” – „Wir wollen Fortschritt, NICHT Securitate”.
Das Volk akzeptiert nicht länger, dass die sogenannte Antikorruptionsbehörde (DNA) unter dem gütigen Auge der EU einen Parallelstaat führt.

„Für mich ist es ein schöner Nachmittag, weil ein Wind der Freiheit weht. Ich bin stolz auf euch und auf Rumänien. (…) Wir machen diese Kundgebung für die Freiheit. Ich bin gekommen, um diejenigen zu treffen, die glauben, dass Rumänien frei bleiben muss. Rumänien ist ein souveränes Land, Rumänien muss frei leben.”

Mit diesen Worten richtet sich der rumänische Senatspräsident Călin Popescu-Tăriceanu an die Menschenmenge, die fast vollständig in weissen Hemden erschienen ist: Als Symbol für den friedlichen Kampf für Gerechtigkeit und Demokratie.

Tăriceanu spricht davon, dass die Demokratie nicht alleine überleben kann, sondern gefördert und verteidigt werden muss:

„Wir kämpfen gegen ein Phänomen, das als Parallelstaat bezeichnet wird und in Wirtschaft, Massenmedien und Justiz allgegenwärtig ist. Unsere Hoffnungen wurden nicht erfüllt und wir müssen weiter kämpfen, bis wir die okkulten Kräfte, die dieses Land erobert haben, überwunden haben.
Wir müssen uns die Demokratie zurückholen. Eine wahre Demokratie, die freie Wahlen respektiert, in der wir alle vor dem Gesetz gleich sind. Niemand steht über dem Gesetz. (…) Ich bin überzeugt, dass ihr nicht akzeptieren werdet, dass die Securitate sich transformiert hat; sie will wieder an die Macht, noch perfider, sie hat sich Schritt für Schritt eingeschleust.”

In seiner leidenschaftlichen Rede spricht der junge PSD-Abgeordnete Liviu Pleșoianu die verfassungswidrigen Auswüchse des Parallelstaates offen an. Eine fast durchgängig verdrehte und einseitig politisch gefärbte deutschsprachige Presse, die sich wie gleichgeschaltet liest, gibt ihm Anlass, sich in englischer Sprache an die internationalen Pressevertreter und das internationale Publikum zu wenden:

„We have gathered here, hundreds of thousands of free Romanians, to protest against the deep state who took our country hostage for more than a decade.
We are here to protest against the secret protocols between the secret services and the prosecutors, between the secret services and the judicial system.
We are here to protest against the illegal mass interception and surveillance of millions of Romanians.
We are here to protest against a hideous experiment – the experiment of the fake anti-corruption fight.
We will no longer accept to ruin our political class, our own capital and our whole society in the name of the fake anti-corruption fight.”

„Wir haben uns hier versammelt, Hunderttausende von freien Rumänen, um gegen den Parallelstaat zu protestieren, der unser Land seit mehr als einem Jahrzehnt als Geisel genommen hat.
Wir sind hier, um gegen die geheimen Protokolle zwischen den Geheimdiensten und den Staatsanwälten, zwischen den Geheimdiensten und dem Justizsystem zu protestieren.
Wir sind hier, um gegen die illegale Massenabhörung und Überwachung von Millionen von Rumänen zu protestieren.
Wir sind hier, um gegen ein abscheuliches Experiment zu protestieren – das Experiment des vorgetäuschten Anti-Korruptions-Kampfes.
Wir werden es nicht mehr länger akzeptieren, dass unsere politische Klasse, unsere eigene Hauptstadt und unsere ganze Gesellschaft im Namen des vorgetäuschten Anti-Korruptions-Kampfes zugrunde gerichtet wird.”

In einer ruhigen, aber bestimmten Art prangert Liviu Dragnea die Machenschaften des Parallelstaates an: Illegale Überwachung, Denunziation und Erpressung sind die Methoden der neuen Securitate.

„Wir können diese Aktionen nicht länger akzeptieren. Wir müssen sagen: Schluss mit Missbräuchen, Schluss mit der politischen Polizei. Es reicht!
Meine Hoffnung kommt (…) von der grossen Zahl derer, die wir nicht aufgegeben haben, wir sind nicht allein. Wenn wir vereint sind, werden wir niemals besiegt werden.”

Er schliesst mit den Worten:

„Rumänien ist aufgewacht! Die Rumänen sind aus dem Todesschlaf erwacht. Victorie! Gott möge uns helfen.”



Bildquelle: Antena3